Sozialraumtage 2023 – Rosenheim inspiriert in Sachen Kinder- und Jugendhilfe

20 Jahre Sozialraumorientierung in Rosenheim – Sozialraumtage 2023

Aus Hamburg, Wien, Bern, Weimar und vielen anderen Kommunen im deutschsprachigen Raum reisten Vertreter*innen von freien Trägern, Kommunen und Verbänden an, um an den Rosenheimer Sozialraumtagen am 19. und 20. Oktober 2023 teilzunehmen. Die Veranstaltung wurde gemeinsam von den freien Trägern Caritas, Startklar Soziale Arbeit, Diakonie und Kinderschutzbund sowie der Stadt Rosenheim organisiert. Oberbürgermeister Andreas März begrüßte die 200 Teilnehmer*innen.

Das Programm der Fachtagung war vielseitig gestaltet und über zwei Tage verteilt. Während am ersten Tag die Auseinandersetzung mit der Umsetzung des Fachkonzepts in Rosenheim in Form von Podiumsgesprächen, Vorträgen und Interviews im Vordergrund stand, präsentierten sich am zweiten Tag die drei Sozialräume in verschiedenen Formaten und Foren.

Was ist so besonders an der Rosenheimer Kinder- und Jugendhilfe?

Vor 20 Jahren gestaltete die Stadt Rosenheim als eine der ersten Kommunen in Deutschland die Kinder- und Jugendhilfe sehr konsequent nach dem Fachkonzept Sozialraumorientierung um. Seither arbeiten Jugendamt und freie Träger in enger Kooperation in drei Sozialräumen zusammen.

Prof. Hinte auf den Rosenheimer Sozialraumtagen

Ziel war es von Anfang an Kinder, Jugendliche und Familien in ihrer Lebenswelt zu unterstützen und die Unterbringung in Spezialeinrichtungen außerhalb Rosenheims zu vermeiden. Das Motto lautete: „Rosenheimer Kinder bleiben in Rosenheim“. Seither werden Regeleinrichtungen wie Kindergärten und Schulen, aber auch Sportvereine u.a. dabei unterstützt, Kinder und Jugendliche auch in schwierigen Lebenssituationen zu begleiten.

Die Sozialraumträger versuchen gemeinsam mit dem Jugendamt, die Kinder- und Jugendhilfe in den Stadtteilen zu verankern. Damit soll schon im Vorfeld einer Hilfe erreicht werden, dass es weniger aufwändige Einzelfallhilfen gibt. Der Fokus der Kinder- und Jugendhilfe in Rosenheim liegt darauf, Kindern und Jugendlichen eine weitgehend gelingende Sozialisation in Rosenheim zu ermöglichen.

In den letzten 20 Jahren steigen in Rosenheim die Einzelfallbetreuungen nicht mehr, auch die Laufzeiten der Maßnahmen haben sich verkürzt, Heimunterbringungen sind erheblich zurückgegangen. Das schafft nicht zuletzt finanziell Freiräume, frühzeitig auf aktuelle Herausforderungen einzugehen.

Die Architektur der sozialraumorientierten Kinder- und Jugendhilfe in Rosenheim

Die „Architektur“ des Rosenheimer Konstrukts stellen die Geschäftsführungen der freien Träger sowie der Jugendamtsleiter Christian Meixner direkt zu Beginn vor. „Entscheidend war das Vertrauen der Partner zueinander und die Verträge, die wir gemeinsam entwickelt haben“, resümierte Christian Meixner. Ulrike Stehle, Geschäftsführerin der Diakonie Rosenheim strich heraus, dass der Veränderungsprozess in der pädagogischen Arbeit dadurch eingeleitet wurde, dass alle Fachkräfte „Verantwortung für den Raum mit allen Familien die darin leben“ übernommen haben und sich nicht mehr nur auf Einzelfälle fokussierten.

Jugendhilfe steuern mit Budget

„Ist es angesichts der großen gesellschaftlichen Herausforderungen überhaupt möglich, Kinder- und Jugendhilfe zu steuern?“ – diese Frage stellte Stephan Höfer, Jugendhilfeplaner der Stadt Rosenheim zu Beginn seines Vortrages. Gemeinsam mit dem Finanzcontroller der Stadt Rosenheim, Kornelius Greiner, sowie dem Controller Norbert Kuhn von Startklar Soziale Arbeit legte er dar, wie es in den letzten 20 Jahren mit Hilfe des Fachkonzepts Sozialraumorientierung möglich war, die Ausgaben der Stadt für die Hilfen zur Erziehung zu konsolidieren und fachlich Arbeit auf hohem Niveau zu leisten. Dies gelang insbesondere durch die sogenannte „fallunspezifische Arbeit“, über die Fachkräfte in den einzelnen Stadtteilen Angebote für Kinder, Jugendliche und Familien vernetzen, bekannt machen und weitere Ressourcen aufbauen, die frühzeitig genutzt werden können.

Gemeinsame Verantwortung

Die Regionalleitungen der freien Träger und des Jugendamtes waren sich einig, dass der Erfolg der Umsetzung des Konzepts in der eng verzahnten Zusammenarbeit auf den verschiedenen Ebenen liegt. In den regelmäßigen Trägerkonferenzen wird von der Jugendamtsleitung und den Geschäftsführungen der Rahmen für die Zusammenarbeit ausverhandelt, es werden Visionen und Antworten auf aktuelle Herausforderungen entwickelt. In der Regionalleiterkonferenz erfolgt die Planung der Arbeit in den einzelnen Sozialräumen. In den Sozialraumteams, an denen die Mitarbeiter*innen teilnehmen, beraten die Jugendamtsmitarbeiter*innen und die Mitarbeiter*innen der Träger gemeinsam Fälle und Fallanfragen aus dem jeweiligen Sozialraum und planen die fallunspezifische Arbeit.

Der Wille als Ausgangspunkt professioneller Hilfen

Ein wesentlicher Ausgangspunkt im Fachkonzept der Sozialraumorientierung ist der sogenannte „Wille“ des Menschen. Prof. Dr. Wolfgang Hinte, der bundesweit Kommunen bei der Implementierung der Sozialraumorientierung unterstützt, machte dazu in seinem Vortrag deutlich: Es sei zentral, herauszufinden, was Menschen antreibt – und ihnen nicht fertige pädagogische Ziele vorzulegen, mit denen sie nichts anfangen können.

„Wir sind so zielfixiert, dass wir das Chaos des normalen Lebens aus den Augen verlieren. Es ist besser, Menschen zu fragen, was sie sich vornehmen“, so Hinte. Nicole Brabandt, Mitarbeiterin der Diakonie Rosenheim zeigte mit einem Video, wie Eltern diese Arbeit erleben.

„Gelebte Raumzuständigkeit“

Monika Sommerer und Michael Schmidt vom Jugendamt Rosenheim erklärten in ihrem Vortrag, wie es Jugendamtsmitarbeiter*innen gelingen kann, neue Ressourcen in den Sozialräumen zu finden und aufzubauen. Dafür brauche es teilweise auch unkonventionelle Methoden, aber in jedem Fall viel Präsenz in den Stadtteilen und viele Gespräche mit den Menschen, die dort leben

Flexible und passgenaue Lösungen entwickeln

Ein wesentlicher Aspekt des Fachkonzeptes Sozialraumorientierung ist es, in jedem Einzelfall flexible und passgenaue Lösungen zu entwickeln und nicht reflexartig auf vorgehaltene, konkret umrissene Angebote der Träger wie z.B. Tagesgruppen, Erziehungsbeistandschaften o.ä zurückzugreifen. Wilma Hansen, Leiterin des Kinderheims Schöne Aussicht, und Jenny Schauer von der Diakonie Rosenheim zeigten in ihrem Vortrag, wie es mit Hilfe der sogenannten INRO-Gruppe gelungen ist, eine flexible Unterbringungsmöglichkeit für Kinder und Jugendliche zu schaffen. In der INRO-Gruppe werden Eltern und das soziale Umfeld maximal eingebunden, damit Kinder so schnell wie möglich wieder in ihre Familien zurückkehren können. Die Gruppe wird vom Jugendamt durchfinanziert, somit besteht kein Belegungsdruck beim freien Träger, der sonst zu einer Ausdehnung der stationären Unterbringung führen kann.

Julia Bader/ Susanne Coenen, Startklar Soziale Arbeit

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